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Studie 5: Professionalisierung zwischen Schule und Hochschule

Rahmeninfos

  • Titel: Professionalisierung zwischen Schule und Hochschule - Eine empirische Studie über reflexive Lehrerbildung
  • Autorin: Stein, Sabine
  • Erscheinungsdatum: 2007

Zusammenfassung

Die Arbeit thematisiert Reformkonzepte zur Lehrerbildung, die auf diverse Leistungsstudien und Forderungen nach Standards reagieren. Von den formulierten Kompetenzbereichen interessiert an dieser Stelle jener, der den adäquaten Umgang mit schulischen Veränderungen ins Zentrum rückt. Zu den „neuen“ Zuständigkeiten von Lehrerinnen und Lehrern gehören etwa die Evaluation von Unterricht oder die kooperative Profilbildung und Selbstverwaltung der eigenen Schule. Die Bildungswissenschaften sehen in den erweiterten Aufgaben einen Paradigmenwechsel, der in Zusammenhang mit dem beruflichen Selbstverständnis und einer professionellen Haltung steht. Fraglich ist, inwieweit eine solche Haltung administrativ geplant werden kann: Soziale Leitideen wie Engagement oder Kooperation lassen sich nicht „absichtlich“ aneignen, sondern zielen weitgehend auf implizite Wissensbestände. Die vorliegende Arbeit fasst dieses Praxiswissen mithilfe der Handlungstheorie Bourdieus und fragt mit Blick auf Professionsdesiderate danach, ob und wie Lehrerbildung einen Habitus fördert, der „innovativ“ ist. Untersucht werden die Kompetenzen von Berufsneulingen, da diese immer wieder als Hoffnungsträger einer nachhaltigen Schulentwicklung genannt werden. Die Studie bedient einen empirischen Nachholbedarf und trägt zur sozialwissenschaftlichen Methodologieentwicklung bei. Im Fokus steht ein Begleitseminar zum Schulpraktikum, in dem Studierende „eigene Fälle“ supervisorisch bearbeiten sowie diverse Gruppendiskussionen durchführen. Der komplexe Datenkorpus beinhaltet verschiedenste Textsorten, Beobachtungen und Erhebungen. Für die qualitative Analyse wesentlich ist, dass die Konstruktion von handlungsleitenden Bedeutungen nicht als rein geistige Operation betrachtet wird, sondern sozial situiert und in einem kollektiv erfahrenen Alltag angelegt ist. Da sich dieses symbolische Handeln gewissermaßen intuitiv und inkorporiert vollzieht, setzt es zudem keine willentliche Zustimmung voraus. Die Rekonstruktion realer Studienpraxis belegt eindrücklich, dass sich in der Kommunikation zwischen den Ausbildungsbeteiligten weit mehr ereignet als die Weitergabe von Information. Die Studie identifiziert institutionelle Einflüsse und zeichnet dezidiert die Umstände nach, unter denen Studierende auf altbewährte Strategien zurückgreifen oder alternativ ungewohnte ausprobieren. Sie zeigt auch, dass sich verschiedene Handlungsfelder nicht strikt voneinander trennen lassen und biografische Grundorientierungen und Konfliktmuster in andere Kontexte hineintragen werden. Die Methodologie der Grounded Theory (Strauss/Corbin) bietet die Chance, für die Theoriebildung mehrdisziplinäre Referenzfolien heran zu ziehen. Insbesondere die Anbindung an soziologische Makrotheorien wie der reflexiven Modernisierung (Beck, Giddens) liefert der Lehrer(aus-)bildung einen Rahmen, der mit landläufigen Theorie-Praxis-Dualismen bricht. Eine passfähige Verdichtung leisten neuere sozialpsychologische Konzepte zu Identität (Keupp) und Situiertem Lernen (Lave/Wenger). Das zentrale Ergebnis der Untersuchung lautet erstens, dass die berufliche Entwicklung von künftigen Lehrerinnen und Lehrern von der Individualisierung wesentlich tangiert wird, und zweitens, dass sich daraus ein Steuerbedarf für die Praxisgemeinschaften ergibt. Die Studie verdeutlicht entgegen trivialen Machbarkeitsvorstellungen von Bildungsplänen, wie Individualisierungsphänomene die professionsinhärente Unsicherheit von Bildungsarbeit gewissermaßen potenzieren: Die Ausbildungskontexte sind geprägt von kurzzeitigen Partizipationen, unübersichtlichen Sozialzusammenhängen und pluralistischen Wertvorstellungen, die eine professionelle Orientierung erschweren. Während die Entscheidungs- und Konkurrenzprobleme wachsen, werden gleichzeitig die Beziehungen und Zugehörigkeiten fragiler. Hier decken die Ergebnisse die normativen Implikationen von Idealkonstrukten wie „Lernenden Organisationen“ auf und relativieren einseitige Gewinnmythen, wie etwa über Teamarbeit, Flexibilität oder Risikofreude. Als Schlüsselkonzept im Umgang mit Unsicherheit und Risiko stellt die Theoriebildung Vertrauen (Luhmann) heraus, das nicht mehr durch Traditionen gegeben ist, sondern von den Ausbildungsbeteiligten aktiv hergestellt werden muss und ein spezifisches soziales Können erfordert. Vor dem Anspruch einer integrierten Berufsbildung braucht es Partizipationsformen, die gegenseitige Anerkennung und transparente Einflussmöglichkeiten bieten. Die Ergebnisse sprechen gleichzeitig gegen ein pauschales Berufsfeldvotum, solange die Frage nach der Qualität der jeweiligen Praxis nicht gestellt wird. Als Perspektive verweist die methodisch kontrollierte Supervision auf kommunikative Strategien, die bisherige Denkfiguren aufbrechen und die eigene Berufsentwicklung bewusster machen: Eine selbstreflexive und soziale Hermeneutik bildet ein Instrument, das die kontinuierliche Evaluation des beruflichen Handelns leisten kann.

Quelle

Stein, Sabine (2007): Professionalisierung zwischen Schule und Hochschule. Eine empirische Studie über reflexive Lehrerbildung. Online publiziert auf dem Server der Deutschen Nationalbibliothek: http://d-nb.info/984573232 (Letzter Zugriff: 17.05.2017)

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lehre/sose2017/sozialwissmeth/analysen/stein.txt · Zuletzt geändert: 2020/11/04 21:16 (Externe Bearbeitung)