Die Bedeutung der institutionalisierten frühen Medienbildung ist hoch, wird allerdings noch immer regelmäßig in Frage gestellt. Dabei ist die gegenwärtige Gesellschaft – auch die frühe Kindheit – von vielfältigen Prozessen der Mediatisierung und Digitalisierung geprägt (Krotz und Hepp 2012; Aktionsrat Bildung 2017). Aus diesen Entwicklungen resultiert eine Verantwortung für die Sicherstellung der Bildungsgerechtigkeit. Für die mediale Aneignung von Welt benötigen Kinder vielfältige Möglichkeiten zur Auseinandersetzung. Vor dem Hintergrund des Bildungsverständnisses der Frühpädagogik (Schäfer 2011) und der Notwendigkeit, Kindern schon vor Schuleintritt die Entwicklung der Medienkompetenz (Baacke 1996) oder – bei stärkerer Anbindung an den erweiterten Textbegriff der Deutschdidaktik (Kallmeyer et al. 1974) – einer basalen „Digital Literacy“ (Kontovourki et al. 2017) zu ermöglichen, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der institutionalisierten frühen Medienbildung im Land Berlin. Ausgehend von offenbar förderlichen Rahmenbedingungen im Land Berlin wird nach dem Stand der Berücksichtigung in den Kindertagesstätten gefragt und dabei der Fokus auf die Fachkräfte gerichtet. Zur Strukturierung des Handlungsfeldes werden das auch in der Schulforschung genutzte Mehrebenenmodell herangezogen (Breiter und Welling 2010) und die Sicherung der Medienbildung in einer kooperativen Bildungsverantwortung („Educational Governance“) auf mehreren Ebenen verortet (Altrichter und Maag Merki 2016a). Methodisch erfolgt in einem triangulierten Verfahren (Flick 2011) zunächst eine schriftliche Befragung verschiedener Akteure auf der Meso‐ und Mikroebene (Leitung, Erzieher/innen und Eltern) aus 104 Einrichtungen. Insgesamt wurden Daten von 104 Leitungskräften, 356 Erzieher/innen sowie 335 Eltern erhoben. Das qualitativ ausgerichtete, multi-perspektivisch konzipierte Forschungsvorhaben (Flick et al. 2015; Glaser und Strauss 2008) wurde um die Durchführung von Gruppendiskussionen erweitert. Es folgt den Prinzipien der heuristischen Sozialforschung (Krotz 2005; Kleining 1994). Unter Berücksichtigung bisheriger Forschungsergebnisse zur Educational Governance in der Kindertagesstätte (z.B. Marci‐Boehncke et al. 2013b) wurde insbesondere nach der Rolle der Leitungskräfte für die Ausgestaltung der frühen Medienbildung gefragt. Diese können insgesamt als medienzugewandt eingeschätzt werden. In der Untersuchung ihrer medienbezogenen Orientierungen und Zielsetzungen – unter Heranziehung des Konzepts des medialen Habitus (Kommer und Biermann 2012; Bourdieu 2005) – und den Schwerpunktsetzungen der pädagogischen Arbeit zeigt sich, dass sie zur Erreichung dieser Ziele nur zum Teil adäquate Umsetzungsstrategien entwickeln und einer größeren Unterstützung der Träger bedürfen. Es werden inhaltliche Unsicherheiten herausgearbeitet, die auch in den Aktivitäten auf der Makroebene begründet liegen, vor allem jedoch aus der fehlenden Anerkennung der medialen Verfasstheit von Bildung sowie der additiven Einschätzung der Medienbildung resultieren. Dieses Ergebnis zeigt sich ebenso bei den befragten Erzieher/innen, die sich in der Aus‐ und Fortbildung zwar mehrheitlich mit der Medienerziehung beschäftigt haben, allerdings eine deutliche Differenz zwischen den medienbezogenen Zielsetzungen und dem tatsächlichen medienerzieherischen Handeln aufweisen, die auf didaktische Leerstellen schließen lässt. Darüber hinaus fehlt es an einer reflexiven Beschäftigung mit dem Gegenstand. Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Eltern und Familien wird deutlich, dass sich der von den pädagogischen Fachkräften vor allem unterstellte Beratungsbedarf in medienerzieherischen Fragen nicht in den Aussagen der Eltern widerspiegelt. Vielmehr wünschen sich diese mehr Informationen über das Konzept der medienpädagogischen Arbeit, konkrete Projekte und Hinweise auf geeignete Angebote für ihre Kinder. Gleichwohl sie die Medienerziehung in der Kita zunächst ablehnen (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2015), äußern sie sich zustimmend zu Aspekten der frühen Medienbildung. Die festgestellte Differenz zwischen den Wünschen der Eltern und den Angeboten der Kindertagesstätte ließe sich über eine konzeptionelle Sicherheit der Fachkräfte schließen. Diese muss einhergehen mit einer veränderten medienpädagogischen Handlungspraxis, die die umfangreichen Medienerfahrungen der Kinder im sozialen Feld „Familie“ stärker im sozialen Feld „Kindertagesstätte“ berücksichtigt und damit einen höheren Grad an Kohärenz erzeugt. Große Programme wie „KidSmart“ haben den Gegenstand Medienbildung erfolgreich in den Fokus der teilnehmenden Kitas gerückt, Fachaustausch, Fortbildung sowie eine Unterstützung im Team leisten einen wichtigen Beitrag zu stärkeren Selbstwirksamkeitserwartungen. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes weisen insbesondere auf die Notwendigkeit der hohen Fachlichkeit der Leitung hin, damit Medienerziehung als alltäglicher Teil in der Kindertagesstätte wahrgenommen und ausgestaltet wird. Für die Qualitätsentwicklung erscheint angezeigt, das Instrument der „internen Evaluation“ zu ergänzen und z.B. Hand‐ reichungen partizipativ mit den Akteuren der verschiedenen Ebenen zu entwickeln. Darüber kann die kooperative Bildungsverantwortung in der Medienbildung gestärkt werden.
Goetz, Ilka (2018): Steuerungsmechanismen zur Sicherstellung der Medienbildung in Kindertagesstätten. Eine empirische Studie zur Kindertagesbetreuung im Land Berlin. Online publiziert auf dem Server der Deutschen Nationalbibliothek: http://d-nb.info/116800960X (Letzter Zugriff 07.04.2020).