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lehre:wise2016-17:gruppe3:station3

Gruppe 3 - Station 3

Namen des Tandems: Jonas Pagel

Die Systemtheorie und ihre Haltung zur Pädagogischen Praxis

Die Besonderheit der systemtheoretischen Erziehungswissenschaft

Bei der Systemtheoretischen Erziehungswissenschaft handelt es sich weniger um Erziehungswissenschaft im traditionellen Sinne, als um die systemtheoretische Betrachtung der Erziehung bzw. des Erziehungssystems. Ein Erzieher oder Lehrer ist also niemals Systemtheoretiker, stattdessen spricht Luhmann sogar von zwei verschiedenen Systemen, wenn es um Wissenschaft und Erziehung geht. [Vgl. Luhmann/Schorr 1999, S. 8.] Ein Praxisbeispiel kann also nicht gegeben werden. Wohl möglich ist es aber, die Position der Systemtheorie gegenüber der Pädagogischen Praxis darzustellen und die Kritik sowie die Verbesserungsvorschläge, welche von der Systemtheorie an die Pädagogik gerichtet wurden zu beschreiben. Diese wiederum können auf die Praxis bezogen werden, was hier beispielhaft dargestellt werden soll. Schließlich existiert ja keine erzieherische Praxis welche die Systemtheorie anwendet, da sie eben reine Wissenschaft ist und die Praxis lediglich durch ihre Erkenntnisse beeinflussen.

Defizite im Erziehungssystem

Durch die Anwendung der Systemtheorie auf die Erziehung nun wurden Defizite im Erziehungssystem festgestellt, welche dieses nach Luhmann prägen und die Problematik einer zielgerichteten pädagogischen Handlungslehre aufzeigen. Diese benennt die Theorie als Verstehensdefizit, Reflexionsdefizit und Technologiedefizit. Das Verstehensdefizit tritt allerdings bei jeder Form von Kommunikation auf, genauso wie das Reflexionsdefizit ein Faktor bei jedweder Beobachtung und/oder Reflexion ist, weshalb sie eben durch diese Sachverhalte in die Pädagogik getragen werden und nicht in erster Linie durch eine von dieser ausgehenden Herangehensweise entstehen. Das Technologiedefizit hingegen ist eine für die Erziehung weitestgehend spezifische Problemstellung. Denn der Begriff Technologie beschreibt nach Luhmann und Schorr kausalgesetzliches Wissen, welches man seinen Handlungen zugrunde legen muss, wenn es einem gelingen will das Ziel der Intentionen, welche den Auslöser praktischer Handlung darstellen, zu erreichen. [Vgl. Luhmann/Schorr 1979, S. 345.] Eben solches kausalgesetzliches Wissen lässt sich in einer Unterrichtssituation nicht erwerben. Zum einen aus dem Grund, dass mutmaßlichen Kausalitäten im Klassenraum nicht hinreichend isolierbar sind, sodass nicht erkennbar ist, ob es sich tatsächlich um Kausalitäten handelt. [Vgl. Luhmann/Schorr 1999, S. 120.] Zum andern aufgrund dessen, dass nach Luhmann psychische Systeme und somit auch Menschen selektive auf Einflüsse aus der Umwelt eingehen, was man jenseits der Theorie wohl als Entscheidungsfreiheit definieren würde. Wenn nun aber zwei menschliche Systeme in Kontakt treten und sich in ihrer Reaktion nicht auf die Gesamtheit der Handlungen des anderen, sondern eben nur auf selektive ausgewählte Teile dieser Handlungen beziehen, kann man diese Reaktionen nicht als kausal beschreiben. [Vgl. Luhmann/Schorr 1999, S. 8f.][Vgl. Luhmann/Schorr 1979, S. 345f.] Hieraus folgt, dass wenn man diese Problematik letztlich im pädagogischen Kontext darstellt, dies die Frage aufwirft, wie Erziehung, also die zielgerichtete Vermittlung von Werten und Fähigkeiten, stattfinden soll, wenn der Erziehende das Wissen, welches er in diesem Zusammenhang bräuchte, um durch seine Handlungen mit Gerissenheit und Sicherheit dieses Ziel erreichen zu können, nicht erwerben kann?

Kausalpläne als Technologieersatz

Eben diese Unmöglichkeit einer Technologie prägt, so Luhmann, das Erziehungssystem, sowohl historisch als auch in seinem momentanen Zustand. Die moderne Pädagogik habe sich dieser Problematik aber nicht gestellt, sondern sie durch Idealisierung und Moralisierung als ungewollt dargestellt und somit als Technologieverdikt habitualisiert. [Vgl. Luhmann/Schorr 1979, S. 346ff.] Luhmann und Schorr schlagen hingegen vor sich dem Problem zu stellen, denn obwohl, oder grade weil die Pädagogik keine Technologie entwickeln kann müsse man wiederum eine Technologie entwickelt um diesen Mangel zu überbrücken. Hier stellen die Autoren Kausalpläne als Technologieersatztechnologie vor. So sei es zwar nicht möglich kausale Gesetzmäßigkeiten im zwischenmenschlichen Handeln festzustellen, durchaus würden Menschen aber Kausalvorstellungen, als Grundlage ihres Handelns nutzen, selbst wenn es sich tatsächlich nicht um Kausalitäten handelt. Wenn man diese Vorstellungen eines Menschen nun kenne, so könnte man einen Kausalplan erstellen, welcher die von ihm für relevant gehaltenen Kausalitäten, somit also solche auf welche er als System am wahrscheinlichsten selektiv reagiert, darstellen und hierdurch ein Verständnis der Situation gewinnen. [Vgl. Luhmann/Schorr 1979, S. 350f.] Natürlich sind die Kausalpläne nie zutreffend, da sie die Realität durch Vereinfachung und Verkürzung der Zusammenhänge nicht erfassen. Dies stellt aber auch nicht ihr Ziel da, stattdessen wollen sie, indem man sich eben darauf einlässt das die Realität nicht getroffen wird, eine weniger komplexe Grundlegende bilden aufgrund deren man überhaupt versuchen kann dem Verständnis des menschlichen Handelns näher zu kommen. [Vgl. Luhmann/Schorr 1979, S. 351.]

Beispielhafte Umsetzung von Kausalplänen

Versucht man nun diesen zunächst sehr theoretischen Ansatz anzuwenden, so fällt auf das er in der Praxis tatsächlich schon Verwendung finden. So könnte man sich beispielsweise eine Situation vorstellen, in der ein Lehrer einem seiner Schüler eine Frage stellt und, nachdem dieser ihm eine Antwort gibt, noch einmal nachhakt, da er der Überzeugung ist, dass der Schüler über noch mehr Wissen bezüglich des Sachverhaltes verfügt, aber nicht den Mut aufbringt dieses zu äußern. Daraufhin ändert der Schüler die gegebene Antwort, sodass sie nicht länger zutreffend ist. Wenn der Lehrer nun einen Kausalplan anwendet um das Verhalten des Schülers zu verstehen, so könnte er zu dem Schluss kommen, dass der Schüler, obwohl Kausalitäten im zwischenmenschlichen Handeln nicht existieren, wohl davon ausgeht, vom ihm gegebene Antworten müssten falsch sein, wenn der Lehrer diese hinterfragt. Da der Lehrer nun versteht, dass der Schüler in diesem Kontext scheinbar von Kausalitäten ausgeht, kann er wiederum annehmen, der Schüler werde auf Rückfragen bezüglich seiner Antworten generell negativ reagieren und dementsprechend Zukünftig anders handeln. Es existiert hierbei natürlich nie eine wirkliche Kausalität, dadurch das der Schüler aber von einer solchen auszugehen scheint und aufgrund dessen technisch handelt, kann der Lehrer seine Handlungen ebenfalls in gewisser Weise technisieren und den Schüler in Zukunft auf andere Weise zu fördern. Es sei an dieser Stelle nochmal erwähnt, das der Schüler in Wirklichkeit natürlich nicht immer gleich reagieren wird, da ja eben keine Kausalität vorliegt. Dadurch das der Lehrer allerdings einen Kausalplan anwendet und somit den Sachverhalt auf eine Ebene vereinfacht, in welcher Kausalitäten möglich sind, kann er das Technologiedefizit umgehen und auf das Verhalten des Schülers reagieren, als verfüge er über eine passende Technologie. Abschließen sei allerdings nochmals betont, dass es sich bei diesem Beispiel um eine Anwendung des Luhmann und Schorrschen Inputs in der Praxis handelt und nicht etwa um Systemtheorie selbst. Es soll lediglich verdeutlichen wie Systemtheorie, obwohl sie das Erziehungssystem eben nur beobachtet und reflektiert, die Erziehung in ihrer Praxis beeinflussen kann. Diese Umsetzung der systemtheoretischen Erkenntnisse kann aber nicht von den Systemtheoretikern selbst, sondern nur von den Erziehern her erfolgen.

Literatur

Luhmann, Niklas/Schorr, Karl Eberhard: Reflexionsprobleme im Erziehunsgssytem. 2. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1999.

Luhmann, Niklas/Schorr, Karl Eberhard: Das Technologiedefizit der Erziehung und die Pädagogik. in: Zeitschrift für Pädagogik 25 (1979), S. 345-365.

lehre/wise2016-17/gruppe3/station3.txt · Zuletzt geändert: 2020/11/04 21:02 (Externe Bearbeitung)