Gruppe 3 - Station 2
Namen des Tandems: Yasmin Franz, Thomas Schoppe
Um die Wissenschaftstheorie der Systemtheorie der Erziehungswissenschaft beschreiben zu können, ist es notwendig, ihren Ursprung zu betrachten.
Die Systemtheorie entwickelte sich als Teilgebiet der Soziologie zur Beschreibung der Gesellschaft. Da „Gesellschaft“ auf Grund von hoher Komplexität und mangelnder Erfassbarkeit nicht genau analysiert werden kann, wird eine Reduzierung der Komplexität und Beschreibung durch sogenannte Systeme vorgenommen. Der Ansatz soll der Verbesserung der Beschreibung und dem Verständnis der Zusammenhänge dienen. Einer der bedeutendsten Theoretiker auf diesem Gebiet ist Niklas Luhmann, an dessen Systemtheorie die Systemtheorie der Erziehungswissenschaft erläutert werden soll. Für Luhmann zeichnet sich ein System durch die Differenz zu seiner Umwelt aus. (vgl. S. 77, 2011) Ferner nimmt für ihn die Struktur eine der Funktion untergeordnete Rolle ein. Sie dient einzig dem Zweck der Erhaltung der Funktion und wird somit austauschbar. (vgl. 1972) Durch diese Charakterisierung gesellschaftlicher Systeme können drei Untergruppen ausdifferenziert werden: (vgl. Luhmann, 1975)
Mit zunehmender Ausdifferenzierung, z.B. durch Technologisierung, der sozialen Systeme im Laufe der Moderne erweitert Luhmann die Charakterisierung der Systeme zusätzlich um eine Selbstreferenzierung, die Autopoiesie (vgl. Kiss, 1990), um die sich nun zunehmend selbst organisierenden, auf sich selbst beziehenden Systeme adäquat beschreiben zu können.
Wendet man die beschriebene Theorie auf die Erziehungswissenschaft an, so kommt man zum Verständnis folgender Defizite pädagogischen Handelns:
Die Elemente sozialer Systeme sind nicht Menschen, sondern Kommunikationen (Informationsaustauschakte). Es gibt 3 Grundtypen sozialer Systeme:
Lebende und soziale Systeme sind autopoietisch, sie sind autonom, aber nicht autark. Sie regeln die Wechselwirkungen mit der Umwelt selbständig.
Die Reduzierung der Komplexität in sozialen Systemen erfolgt durch die Bildung von Strukturen. Diese bestimmen, welche Anschlusskommunikationen möglich sind. Durch die selbstorganisatorische Bildung von Prozessen werden bestimmte Anschlusskommunikationen ausgewählt, die den Sinn bzw. die Bedeutung des Systems zum Ausdruck bringen. Soziale und psychische Systeme sind über das Medium Sinn miteinander gekoppelt. Organismen oder Maschinen sind Systeme, die mit Sinn nichts anfangen können. Sinn ist das Kriterium für die Auswahl möglicher Kommunikationen und deren Aktualisierung. Sinn reduziert die Komplexität der Welt und eröffnet ihr gleichzeitig neue Möglichkeiten.
Das Bewusstsein ist ein psychisches System, dessen Elemente die Gedanken sind. Es ist vom Gehirn zu unterscheiden, das ein organisches System ist. Das Gehirn ist aber unbedingt notwendige Umwelt des Bewusstseins. Es produziert das Bewusstsein. Das Gehirn ist ein selbstreferenzielles System, das auf Grund seiner Eigenkomplexität die Komplexität der aus der Umwelt kommenden Sinnesreize zu reduzieren und zur Wahrnehmung zu verdichten vermag. Wahrnehmung ist keine Widerspiegelung der Außenwelt, sondern die systeminterne Konstruktion einer systemexternen Welt. Die unterschiedlichen Systeme sind durch strukturelle Kopplungen aufeinander angewiesen, sie existieren in Symbiose. Soziale und psychische Systeme sind durch das Medium Sinn miteinander gekoppelt, Gehirn und Bewusstsein sind durch Wahrnehmungen gekoppelt. Trotz der Kopplungen sind die beteiligten Systeme in sich operativ geschlossen und können nur über das Kopplungsmedium miteinander wechselwirken. Bewusstsein und Kommunikation sind aufeinander angewiesen, die Kommunikationen müssen sich dem Bewusstsein anpassen, bleiben aber funktional getrennt.
Gesellschaftliche Evolution vollzieht sich über die Ausbildung von Strukturen, mit denen die Unwahrscheinlichkeit gelingender Kommunikation wahrscheinlicher gemacht wird. Durch Variation einer Kommunikation entsteht eine unerwartete neue Kommunikation, die von den vorhandenen Strukturen des Systems selektiert wird. Das Ergebnis der Selektion ist eine Veränderung der Strukturen, durch die das System restabilisiert wird. Die evolutionäre Errungenschaft besteht darin, dass sie die kombinatorischen Möglichkeit erhöht und damit höhere Komplexitätsgrade realisiert. Sprache, Schrift, Buchdruck und Telekommunikation sind wesentliche Stufen dieser Evolution. Eine parallele Entwicklungsrichtung zeigt sich in der Herausbildung einer funktional differenzierten Gesellschaft. Archaische Gesellschaften zeigen zunächst eine segmentäre Differenzierung, eine Gliederung in gleichartige Teile wie Familien, Stämme und Dörfer mit geringem Komplexitätsgrad. Daraus entwickelt sich eine Teilung in ungleiche Schichten, es entstehen hierarchische Teilsysteme mit einer höheren Komplexität, die eine gesellschaftliche Zentralinstanz zur Steuerung der Entwicklung hervorbringt. Diese Funktion erfüllen in stratifikatorischen Gesellschaften Moral, Religion und Macht. Durch Auseinanderentwicklung religiöser und staatlicher Machtinteressen wurde die Politik autonom. Andere Gesellschaftsbereiche wie Erziehung, Wissenschaft und Recht folgten, so dass eine funktionale Differenzierung entstand mit weitgehend autonomen Teilsystemen und schwacher struktureller Kopplung. Durch die Aufgliederung in Teilsysteme reduziert die Gesellschaft ihre Eigenkomplexität und macht diese handhabbar. Die Subsysteme entwickeln eigene Codes, mit denen ihre Autonomie und Abgeschlossenheit gewährleistet wird und die innerhalb des betrachteten Systems nicht in Frage gestellt werden. Diese Codes sind z.B.
Die Zuordnung der Codewerte wird bestimmt von Theorien, Programmen und Regeln, die innerhalb der Subsysteme akzeptiert und von außen nicht in Frage gestellt werden. Die strukturelle Kopplung verschiedener Systeme erfolgt durch Medien. Politik und Wirtschaft werden über Steuern und Abgaben, Recht und Wirtschaft über Verträge und Eigentum, Wirtschaft und Erziehung/Ausbildung über Zeugnisse und Zertifikate, Wissenschaft und Erziehung/Ausbildung über die Organisationsstrukturen der Universitäten gekoppelt. Jedes Funktionssystem nimmt seine Umwelt anders wahr, hat sein eigenes Weltbild, das von den anderen Subsystemen anders interpretiert wird. Die Differenz zwischen System und Umwelt stellt sich in jedem Subsystem anders dar, die Einheit der modernen Gesellschaft erscheint in der Differenz der Funktionalsysteme.
Die Systemtheorie Luhmanns stellt lediglich den Istzustand der Systeme theoretisch dar, erhebt aber keinen Anspruch auf Wertung, Beeinflussung oder Veränderung des Istzustandes oder auf Anwendbarkeit ihrer Ergebnisse. Sie ist eine echte Metatheorie, die konkrete Zusammenhänge verallgemeinert darstellt. Kommunikationen werden als die Elemente der Systeme angesehen. Jede Kommunikation besteht aus den 3 Komponenten Information, Mitteilung und Verstehen. Psychische Systeme können nur durch Kommunikation miteinander in Kontakt treten. Eine Kommunikation kann dargestellt werden als Handlung einer Person, die durch eine zweite Person erlebt und angenommen oder abgelehnt wird. Die Annahme wird durch symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien wahrscheinlicher gemacht. Das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium der Wirtschaft ist Geld, der Wissenschaft - Wahrheit, der Politik und des Justizsystems - Macht. Diese bewirken, dass die sonst unwahrscheinliche Annahme der Kommunikation wahrscheinlich wird. Symbiotische Mechanismen stellen die Verbindung zum Organischen her, sie vermitteln die strukturelle Kopplung zu den Körpern der Beteiligten. Der symbiotische Mechanismus der politischen und juristischen Macht ist die physische Gewalt. Beim Geld sind es die Konsumbedürfnisse, bei der wissenschaftlichen Wahrheit die Wahrnehmung und bei der Liebe die Sexualität. Die Gesamtheit der Kommunikationsmedien bilden die Kultur, das Systemgedächtnis der Gesellschaft, das eine gemeinsame Wertebasis schafft. Beobachtung Beobachten ist in der Systemtheorie die Operation des Unterscheidens und Bezeichnens. Jede Beobachtung kann nur das bezeichnen, was im Moment gerade unterschieden wird. Alles andere wird nicht gesehen. Ein Beobachter kann sich nicht selbst beobachten, er kann aber die Beobachtung eines anderen Beobachters beobachten (Beobachtung 2.Ordnung). Die Beobachtung 2.Ordnung ermöglicht aber nur mit zeitlicher Verzögerung die Selbstbeobachtung.
Die Systemtheorie begründet einen generellen Relativismus, der grundsätzlich nicht auflösbar ist. Sie geht aus von der Unterscheidung von System und Umwelt, akzeptiert aber auch andere Unterscheidungen. Verwendet man andere Unterscheidungen, so nimmt man in Kauf, dass alles mit anderen Grenzziehungen dargestellt werden muss und die Beobachtung der Unterscheidungskriterien nicht möglich ist (blinder Fleck). Es gibt also keine allgemeingültige Sichtweise, jede Darstellung setzt die Annahme einer Differenz voraus, die nicht näher begründbar ist und die bei anderer Sichtweise nicht existiert. Diese Eigenheiten der Systemtheorie werden von konventionellen Kritikern, insb. Habermas, strikt abgelehnt. Diese vermissen kritisches Potential gegenüber der existierenden Gesellschaft. Für Luhmann ergibt sich das kritische Potential jedoch aus der überall zu Grunde liegenden Differenz, die jeden allgemeinen Konsens verhindert. Der Vorwurf der Inhumanität der Systemtheorie resultiert aus dem Ausschluss des Menschen aus dem System der Gesellschaft. Durch diesen Ausschluss gewinnt der Mensch jedoch an Autonomie. Das Verständnis der resultierenden Differenz Individuum - Gesellschaft erscheint jedoch noch unvollständig bearbeitet. Die Systemtheorie unterscheidet sich vom Konstruktivismus in erster Linie dadurch, dass sie die Realität nicht als rein geistige Konstruktion deklariert, sondern als Ausgangspunkt von Beobachtungen, mit deren Hilfe ein relativistisches systeminternes Abbild konstruiert wird. Dieses Verfahren ist in gewisser Hinsicht realitätsnäher als der reine Konstruktivismus. Obwohl die Systemtheorie keinen Anspruch auf praktische Anwendbarkeit erhebt, ist sie auf zahlreiche soziale Probleme als Analysemethode hervorragend anwendbar.
Kiss, G.(1990): Grundzüge und Entwicklung der Luhmannschen Systemtheorie. Stuttgart
Krüger, H.H.(2006): Einführung in Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft. Stuttgart: UTB Verlag
Luhmann, N.(1972): Soziologische Aufklärung, Bd.1, Obladen
Luhmann, N.(1975): Interaktion, Organisation, Gesellschaft. In Luhmann, N.: Soziologische Aufklärung, Bd.2. Obladen. S.9-20
Luhmann, N.(2011): Einführung in die Systemtheorie. Hrsg. Dirk Baecker. 6. Auflage. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag