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Tandem 12

  • Tandempartner*in 1: Anna Wolschendorf
  • Tandempartner*in 2: Darya Kuleschova

Entwurfsfassung

Verhältnis Theorie-Gegenstand

Fragestellung, Forschungsperspektiven

Bei der Auseinandersetzung mit den bisherigen Forschungsergebnissen stellt Fähnrich fest, dass die Gründe für das straffällige Verhalten der Jugendlichen von einer bevorzugten Kriminalitätstheorie oder aus der Verknüpfung von personenbezogenen Daten zu einem Kombinationsmuster abgeleitet werden (Fähnrich, 2009, S.7). Daraus resultierend formuliert er die These, dass bislang vorliegende theoretischen Forschungsansätze die Selbstdeutungsmuster der Jugendlichen für ihr kriminelles Verhalten nicht ausreichend berücksichtigen. Daraus leitet er folgende Forschungsfragen ab: (1) Wie deuten die Jugendlichen ihre aktuellen Lebensumstände und biografischen Erfahrungen (einschließlich ihrer Straftaten) selbst? und (2) Lassen sich typische Selbstdeutungsmuster der Jugendlichen bezüglich ihrer aktuellen Lebensumstände sowie biografischen Erfahrungen (einschließlich Straftaten) feststellen? (Ebd., S.103) Durch die Interviews erhobene Daten werden mehrfach analysiert, erneut erhoben, zu unterschiedlichen Lebenslagentypen auf zwei Ebenen (Gegenwärtige Situation und biografische Erfahrungen) zusammengefasst und anschließend aufeinander bezogen und miteinander kombiniert (Ebd., S. 201 ff.). Dieses Verfahren leitet sich von der gegenstandsbegründeten Theorie nach Glaser und Strauss (1967/1998) ab (Flick, 2011, S. 387).

Annäherung ans Feld

Der Zugang zum Feld geschieht durch die Kontaktaufnahme zu dem Hessischen Polizeipräsidium im Jahr 2006. Somit erhält Fähnrich die als Personagramme zusammengefassten Daten von 80 kriminellen Jugendlichen, die zu einer Ermittlungsgruppe „BASU 21“ gehören. Der Leiter der Ermittlungsgruppe steht Fähnrich für die Dauer der Zusammenarbeit als Ansprechpartner zur Verfügung (Fähnrich, 2009, S. 105). Die Annäherung an das Feld geschieht zunächst über die Methode des selektiven Samplings, muss allerdings verworfen werden, nach dem sich die Komplikationen mit dem Zugang zu den unmittelbaren Probanden ergeben. Da sich zu wenige Jugendlichen für das Interview bereit erklärt haben, nimmt Fähnrich den Kontakt zu weiteren Institutionen auf wählt seine Untersuchungsgruppe mittels „einer Art Zufallsstichprobe“ aus. An dieser Stelle erläutert er nicht weiter, erwähnt nur, dass „die Jugendlichen grundsätzlich in das Profil ‚BASU 21‘ passen sollten“ (Ebd., S.121). Laut Flick liegt die Zufallsstichprobe vor, wenn alle Elemente aus der Gesamtheit unabhängig durch einen Zufallsprozess gezogen werden (Flick, 2009, S.88). An dieser Stelle mangelt es an Erläuterung, ob nur die sieben dazu gekommenen Probanden durch die Zufallsstichprobe und die anderen vier durch eine gezielte Auswahl für die Untersuchungsgruppe gewählt wurden, oder ob die vier Probanden mit in die Gesamtmenge der Zufallsstichprobe gehören. Anschließend führt Fähnrich die persönlichen Interviews mit jedem der elf ausgewählten Jugendlichen ungestört in einem Büro durch. Er nimmt eine aktive Rolle als teilnehmender Beobachter ein und klärt die Jugendlichen über die Inhalte der Untersuchung und über die Vertraulichkeit der Daten auf und animiert sie dazu, die eigene Lebenssituation selbstständig darzulegen. Die Wichtigkeit ihrer persönlichen Meinung wird von Fähnrich betont und im Anschluss an das Interview führt er ein Gespräch darüber, wie das Interview empfunden wurde (Fähnrich, 2009, S.123). Dadurch reduziert Fähnrich (nach Flick) die Distanz als Forscher zu den beobachtenden Personen kann dadurch die Beobachtung konkreter an den wesentlichen Aspekten orientieren (Flick, 2009, S. 126).

Sammlung der Daten

Hier ist zwischen zwei verschiedenen Datensammlungen zu differenzieren. Zum ersten die, die Fähnrich bereits im Vorfeld von der Institution erhalten hat und zum zweiten die, die Fähnrich selbst erhoben hat. Durch die Kontaktaufnahme mit dem Hessischen Polizeipräsidium, erhielt Fähnrich, wie in Punkt 4 erwähnt, Zugang zu den bereits erstellten, aber teilweise nicht vollständigen Personagrammen. Zur Ermittlung der eigenen, weiterführenden Daten verwendet Fähnrich das Leitfadeninterview (Fähnrich, 2009, S. 122). Ein Leitfadeninterview stellt den Dialog zwischen dem Interviewer und dem Interviewten dar. Dafür wird im Voraus vom Interviewer ein Leitfaden mit mehr oder minder offenen Fragen erstellt, die der Interviewte dann beantwortet. Ziel ist es die subjektive Sicht des Interviewten zu einem vorher festgelegten Gegenstand zu erkennen. Dieses Gespräch kann bezüglich der Reihenfolge der Fragen variieren. Zudem kann der Fragende an bestimmten Stellen nachhaken und so das Gespräch weiter in die Tiefe lenken (Flick, 2016, S. 113 ff.) Die Interviews wurden von Fähnrich alleine geführt und der Ton wurde aufgenommen. Die Problematik bei dieser Methode liegt im Anwendungsbeispiel dabei, dass die Probanden nicht wahrheitsgemäß antworten könnten und so die Forschungsergebnisse nur bedingt von Wert wären. Dies erkennt Fähnrich und versichert den Jugendlichen „Anonymität“ und Verschwiegenheit (Fähnrich, 2009, S.123). Inwiefern dies zielführend war, lässt sich von Außenstehenden und auch von Fähnrich nicht abschließend klären. Durch die geführten Interviews erhielt Autor die gewünschten subjektiven Empfindungen der Probanden, allerdings wird nicht mehr erwähnt wie er mit den unvollständigen Personagrammen umgehen möchte. Diese halten wir zu diesem Zeitpunkt aber für ‚überflüssig’, da der Autor durch die Zufallsstichprobe ohnehin nicht mehr für die allgemeinen Voraussetzungen seiner Probanden garantieren kann. Dies halten wir für intransparent.

Fixierung der Daten

Wie in Punkt 4 schon erwähnt, möchten wir auch hier zwischen den beiden Datensammlungen differenzieren. Die bereits von der Institution ermittelten Daten wurden weiterhin von dieser gespeichert. Die von Fähnrich gesammelten, neuen Daten, wurden als einzelne Fallporträts aufbereitet und, falls vorhanden, mit den Personagrammen vervollständigt. Zudem wurden die Tonaufzeichnungen wortgetreu zu Papier gebracht (Fähnrich, 2009, S. 123).

Interpretation der Daten

Die Interviewfragen entwickelt Fähnrich nach dem Konzept des episodischen Interviews. Diese werden im Zusammenhang mit der thematischen Kodierung umgesetzt, damit die Vorgabe von Themen und gleichzeitige Offenheit für die darauf bezogenen Sichtweisen gewährleistet werden kann (Fähnrich, 2009, S.124 nach Flick 1996, 2007). Es werden zwei Untersuchungsebenen bestimmt: Ebene 1- gegenwärtige Lebensumstände und Kriminalität und Ebene 2 - biografische Erfahrungen mit der Kriminalität. Aus den durch die Interviews erhobenen Daten erstellt Fähnrich die Einzelfallanalysen, die miteinander verglichen werden. Es werden Gemeinsamkeiten aus den Einzelfällen zu den aktuellen Lebensumständen und Kriminalität (Ebene 1) hervorgehoben und bestimmte thematische Kategorien gebildet. Anschließend folgt die Feinanalyse, die mit Hilfe eines Leitfadens erstellt wird und die Bildung von Subkategorien ermöglicht (Fähnrich, 2009, S.125). Die thematisch angelegte Struktur gewährleistet eine hohe Vergleichbarkeit (Flick,2009, S.172). Die angelegten Kategorien werden wieder mit den anderen Fällen abgeglichen und nochmals analysiert. Die Ergebnisse werden von Fähnrich zu den endgültigen Untersuchungskategorien formuliert. Im nächsten Schritt analysiert Fähnrich die einzelnen Fälle unter Beachtung von biografischen Erlebnissen. Aus den festgestellten Gemeinsamkeiten bildet er Situationstypen. Auf die gleiche Weise untersucht Fähnrich die biografischen Erfahrungen der Jugendlichen mit der Kriminalität (Ebene 2) und bildet dadurch die Biografietypen. Die beiden Typen werden miteinander verglichen und auf die inhaltlichen Zusammenhänge überprüft. Anschließend werden durch die Analyse der gemeinsamen Merkmale die Lebenslagentypen gebildet (Fähnrich, 2009, S. 123- 134). Das von Fähnrich verwendetes Auswertungsmodell wird von Flick als zirkuläres Modell beschrieben. Die konsequente Anwendung dieses Modell ermöglicht die permanente Reflexion sowohl der gesamten Forschungsarbeit, als auch deren einzelnen Teilschritte. (Flick, 2011, S. 126 ff.)

Geltungsbegründung

Forschung als Diskurs

Literatur

Fähnrich, Oliver: „Jugendkriminalität: Biografische Kontexte straffälliger Jugendlicher“ Dissertation. Dortmund: Technische Universität Dortmund, 2009

Flick, Uwe: „Sozialforschung: Methoden und Anwendungen: Ein Überblick für die BA-Studiengänge“, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 3. Aufl.,2009

Flick, Uwe: „Qualitative Forschung. Eine Einführung“, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 4. Aufl., 2011

Flick, Uwe: „Sozialforschung: Methoden und Anwendungen: Ein Überblick für die BA- Studiengänge“, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 3. Aufl., 2016

Zweiter Text: Begründete Einschätzung anderer Analysen

Ranking:

Tandem 7, Platz 1

Tandem 7 schafft einen guten Überblick über das Thema der Dissertation, in dem eine kurze Einleitung formuliert wird. Die Forschungsfragen und die Ziele, die sich Fähnrich gesetzt hat, sind klar und deutlich ausformuliert, die Ausgangsthese wird aber nicht erwähnt. Es besteht eine klare Unterscheidung zwischen den Inhalten der Studie und der verwendeten Fachliteratur. Der Bereich „Das Annäherung an das Feld“ ist gut beschrieben und strukturiert. Besonders gut finden wir, dass die vom Flick ausgearbeitete vier Schritte der Annäherung an das Feld erwähnt und einzeln strukturiert ausgearbeitet werden. Leider sind die letzten zwei Schritte etwas zu kurz und nicht ganz deutlich. Die vom Fähnrich verwendete Methoden, die als solche vom Tandem erkannt wurden (das Leitfadeninterview und thematisches Kodieren) sind gut erläutert und im Einklang mit Flick analysiert. Das Verhältnis zwischen Deskription und Analyse der Studie unter Verwendung der Fachliteratur ist gut ausgewogen und klar strukturiert. Insgesamt erscheint uns die Analyse als gut gelungen, allerdings ist die Studie nicht in dem Literaturverzeichnis aufgeführt.

Tandem 11, Platz 2

Tandem 11 gelingt eine gute Einleitung, indem die Fragen nach Fragestellung und Forschungsperspektiven gut dargestellt und erläutert werden. Allgemein wird inhaltlich auf die wichtigsten Dinge Bezug genommen, teilweise allerdings etwas grob und zu knapp. Getätigte Aussagen werden mithilfe von Fachliteratur gut belegt, sodass man als Leser/in zwischen eigenen Gedanken und Fähnrichs/Flicks Gedanken differenzieren kann. Begrifflichkeiten wie etwa das Narrative Interview oder das Leitfadeninterview werden gut erklärt und auch auf das Selektive Sampling wird eingegangen. Allerdings überschneiden sich teilweise die Inhalte der einzelnen Unterpunkte. Unter ‚Annäherung an das Feld’ wird erläutert wie Fähnrich seine Interviews führt und die positiven Aspekte des Leitfadeninterviews herausgearbeitet. Dann werden im Unterpunkt ‚Sammlung der Daten’ die vorausgegangenen Aussagen teilweise wiederholt. Hier hätte man Wiederholungen vermeiden können und dafür im Gegenzug andere Inhalte intensiver betrachten können. Das Thematische Kodieren wird beispielsweise nur kurz angerissen, dabei hätte es hier mehr Informationen dazu gebraucht. Auch wird nicht ersichtlich für welche Form der Transkription sich Fähnrich hinsichtlich seiner Tonbandaufzeichnungen entschieden hat, oder ob dies überhaupt genannt wird.

Tandem 3, Platz 3

Tandem 3 formuliert die Forschungsfragen und die Ziele, mit welchen sich Fähnrich beschäftigt hat, klar aus. Die Ausgangsthese, die zu der Formulierung der Forschungsfragen geführt hat, wird zwar erwähnt, aber nicht weiter erläutert. Zur Bearbeitung der Studie wird von dem Tandem die Fachliteratur verwendet und in dem Literaturverzeichnis aufgeführt, die Studie selbst bleibt leider aus. Es ist uns aufgefallen, dass bei der Analyse der Studie an manchen Stellen keine klare Differenzierung zwischen den Inhalten der Studie und der Fachliteratur möglich ist. Somit entsteht der Anschein, dass Flick über die Studie von Fähnrich in seinem Buch geschrieben hat. Weiter wird zwar die Selektive Sampling Methode erwähnt, aber nicht als solche gekennzeichnet und nicht weiter ausgeführt, somit bleibt es unklar, aus welchen Gründen Selektive Sampling Methode von Fähnrich nicht umgesetzt werden konnte, warum ausgerechnet die Zufallsstichprobe geeigneter erschien und welche Merkmale diese Methode auszeichnen. In Gesamten ist die Studienanalyse mehr deskriptiv gestaltet, was dazu führt, dass einige Fragen zu den Inhalten der Analyse offenbleiben.

Dritter Text: Endfassung

Einleitung

„Jugendkriminalität. Biografische Kontexte straffälliger Jugendlicher. Merkmale und Selbstdeutungsmuster jugendlicher Wiederholungstäter“ von Oliver Fähnrich ist eine qualitative Studie aus dem Jahr 2010 mit dem Schwerpunkt auf der Untersuchung der subjektivem Wahrnehmung der kriminellen Jugendlichen bezüglich ihrer Lebenslage und der Ursachen der Straftätigkeit (Vgl. Fähnrich, 2010, S. 7).Dabei setzt sich Fähnrich als Ziel, neue Anregungen zu der aktuellen Diskussion um die Jugendkriminalität durch die Hervorhebung der neuen Aspekte zu schaffen(Vgl. ebd., S. 103-104).

Verhältnis Theorie-Gegenstand

Der Untersuchungsgegenstand der Forschungsarbeit ist die gestiegene Jugendkriminalität. Laut Flick ist es notwendig für die Planung einer qualitativen Studie, die Publikationen zum jeweiligen Forschungsfeld zu kennen, in dem Interviews oder Beobachtungen geführt werden sollen (Flick, 2011, S. 74). Um diesen Rahmen erfüllen zu können, untersucht Fähnrich den bisherigen Forschungsstand in dem Bereich der Kriminologie in chronologischen Reihenfolge. Dabei macht er deutlich, dass die Kriminalitätstheorien, die ausschließlich durch den Einfluss der Massenmedien begründet sind und der Bereich der Viktimologie nicht berücksichtigt wird. Die Kriminalitätstheorien werden nach unterschiedlichen Ansätzen (biologische, psychodynamisch ausgerichtete, etc.) zusammengefasst (Fähnrich, 2010, S. 53). Demnach ist das Gegenstand der Untersuchung mit der Theorie verankert. Fähnrich setzt sich als Ziel den Forschungsstand mit den neuen Aspekten aufzufrischen und dadurch neue Anregungen zu schaffen. Qualitative Forschung zielt darauf ab, den subjektiv gemeinten Sinn des untersuchten Gegenstandes aus der Perspektive der Beteiligten zu erfassen, Neues in der untersuchten Situation zu entdecken und daraus Hypothesen oder eine Theorie zu entwickeln (Flick, 2009, S. 25). Diese Ziele werden in der Studie von Fähnrich wiedergespiegelt.

Fragestellung, Forschungsperspektiven

Bei der Auseinandersetzung mit den bisherigen Forschungsergebnissen stellt Fähnrich fest, dass die Gründe für das straffällige Verhalten der Jugendlichen von einer bevorzugten Kriminalitätstheorie oder aus der Verknüpfung von personenbezogenen Daten zu einem Kombinationsmuster abgeleitet werden (Fähnrich, 2010, S.7). Daraus resultierend formuliert er die These, dass bislang vorliegende theoretischen Forschungsansätze die Selbstdeutungsmuster der Jugendlichen für ihr kriminelles Verhalten nicht ausreichend berücksichtigen. Daraus leitet er folgende Forschungsfragen ab: (1) Wie deuten die Jugendlichen ihre aktuellen Lebensumstände und biografischen Erfahrungen (einschließlich ihrer Straftaten) selbst? und (2) Lassen sich typische Selbstdeutungsmuster der Jugendlichen bezüglich ihrer aktuellen Lebensumstände sowie biografischen Erfahrungen (einschließlich Straftaten) feststellen? (Ebd., S.103) Durch die Interviews erhobene Daten werden mehrfach analysiert, erneut erhoben, zu unterschiedlichen Lebenslagentypen auf zwei Ebenen (Gegenwärtige Situation und biografische Erfahrungen) zusammengefasst und anschließend aufeinander bezogen und miteinander kombiniert (Ebd., S. 201 ff.). Dieses Verfahren leitet sich von der gegenstandsbegründeten Theorie nach Glaser und Strauss (1967/1998) ab (Flick, 2011, S. 387). Die Ergebnisse der Untersuchung sollen dann an das zuständige Polizeipräsidium weitergeleitet werden, da diese in Zukunft hilfreich hinsichtlich Präventiver Konzepte sind (Fähnrich, 2010, S. 105.).

Annäherung ans Feld

Der Zugang zum Feld geschieht durch die Kontaktaufnahme zu dem Hessischen Polizeipräsidium im Jahr 2006. Somit erhält Fähnrich die als Personagramme zusammengefassten Daten von 80 kriminellen Jugendlichen, die zu einer Ermittlungsgruppe „BASU 21“ gehören. Der Leiter der Ermittlungsgruppe steht Fähnrich für die Dauer der Zusammenarbeit als Ansprechpartner zur Verfügung (Fähnrich, 2010, S. 105). Die Annäherung an das Feld geschieht zunächst über die Methode des selektiven Samplings, muss allerdings verworfen werden, nach dem sich die Komplikationen mit dem Zugang zu den unmittelbaren Probanden ergeben. Da sich zu wenige Jugendlichen für das Interview bereit erklärt haben, nimmt Fähnrich den Kontakt zu weiteren Institutionen auf wählt seine Untersuchungsgruppe mittels „einer Art Zufallsstichprobe“ aus. An dieser Stelle erläutert er nicht weiter, erwähnt nur, dass „die Jugendlichen grundsätzlich in das Profil ‚BASU 21‘ passen sollten“ (Ebd., S.121). Laut Flick liegt die Zufallsstichprobe vor, wenn alle Elemente aus der Gesamtheit unabhängig durch einen Zufallsprozess gezogen werden (Flick, 2009, S.88). An dieser Stelle mangelt es an Erläuterung, ob nur die sieben dazu gekommenen Probanden durch die Zufallsstichprobe und die anderen vier durch eine gezielte Auswahl für die Untersuchungsgruppe gewählt wurden, oder ob die vier Probanden mit in die Gesamtmenge der Zufallsstichprobe gehören. Anschließend führt Fähnrich die persönlichen Interviews mit jedem der elf ausgewählten Jugendlichen ungestört in einem Büro durch. Er nimmt eine aktive Rolle als teilnehmender Beobachter ein und klärt die Jugendlichen über die Inhalte der Untersuchung und über die Vertraulichkeit der Daten auf und animiert sie dazu, die eigene Lebenssituation selbstständig darzulegen. Die Wichtigkeit ihrer persönlichen Meinung wird von Fähnrich betont und im Anschluss an das Interview führt er ein Gespräch darüber, wie das Interview empfunden wurde (Fähnrich, 2010, S.123). Dadurch reduziert Fähnrich (nach Flick) die Distanz als Forscher zu den beobachtenden Personen kann dadurch die Beobachtung konkreter an den wesentlichen Aspekten orientieren (Flick, 2010, S. 126).

Sammlung der Daten

Hier ist zwischen zwei verschiedenen Datensammlungen zu differenzieren. Zum ersten die, die Fähnrich bereits im Vorfeld von der Institution erhalten hat und zum zweiten die, die Fähnrich selbst erhoben hat. Durch die Kontaktaufnahme mit dem Hessischen Polizeipräsidium, erhielt Fähnrich, wie in Punkt 4 erwähnt, Zugang zu den bereits erstellten, aber teilweise nicht vollständigen Personagrammen. Zur Ermittlung der eigenen, weiterführenden Daten verwendet Fähnrich das Leitfadeninterview (Fähnrich, 2010, S. 122). Ein Leitfadeninterview stellt den Dialog zwischen dem Interviewer und dem Interviewten dar. Dafür wird im Voraus vom Interviewer ein Leitfaden mit mehr oder minder offenen Fragen erstellt, die der Interviewte dann beantwortet. Ziel ist es die subjektive Sicht des Interviewten zu einem vorher festgelegten Gegenstand zu erkennen. Dieses Gespräch kann bezüglich der Reihenfolge der Fragen variieren. Zudem kann der Fragende an bestimmten Stellen nachhaken und so das Gespräch weiter in die Tiefe lenken (Flick, 2016, S. 113 ff.) Die Interviews wurden von Fähnrich alleine geführt und der Ton wurde aufgenommen. Die Problematik bei dieser Methode liegt im Anwendungsbeispiel dabei, dass die Probanden nicht wahrheitsgemäß antworten könnten und so die Forschungsergebnisse nur bedingt von Wert wären. Dies erkennt Fähnrich und versichert den Jugendlichen „Anonymität“ und Verschwiegenheit (Fähnrich, 2010, S.123). Inwiefern dies zielführend war, lässt sich von Außenstehenden und auch von Fähnrich nicht abschließend klären. Durch die geführten Interviews erhielt Autor die gewünschten subjektiven Empfindungen der Probanden, allerdings wird nicht mehr erwähnt wie er mit den unvollständigen Personagrammen umgehen möchte. Diese halten wir zu diesem Zeitpunkt aber für ‚überflüssig’, da der Autor durch die Zufallsstichprobe ohnehin nicht mehr für die allgemeinen Voraussetzungen seiner Probanden garantieren kann. Dies halten wir für intransparent.

Fixierung der Daten

Wie im Unterpunkt „Sammlung der Daten“ schon erwähnt, möchten wir auch hier zwischen den beiden Datensammlungen differenzieren. Die bereits von der Institution ermittelten Daten wurden weiterhin von dieser gespeichert. Die von Fähnrich gesammelten, neuen Daten, wurden als einzelne Fallporträts aufbereitet und, falls vorhanden, mit den Personagrammen vervollständigt. Zudem wurden die Tonaufzeichnungen wortgetreu zu Papier gebracht (Fähnrich, 2010, S. 123). Allerdings bleibt unklar, für welche Transkriptionsmethode sich Fähnrich entschieden hat.

Interpretation der Daten

Die Interviewfragen entwickelt Fähnrich nach dem Konzept des episodischen Interviews. Diese werden im Zusammenhang mit der thematischen Kodierung umgesetzt, damit die Vorgabe von Themen und gleichzeitige Offenheit für die darauf bezogenen Sichtweisen gewährleistet werden kann (Fähnrich, 2010, S.124 nach Flick 1996, 2007). Es werden zwei Untersuchungsebenen bestimmt: Ebene 1- gegenwärtige Lebensumstände und Kriminalität und Ebene 2 - biografische Erfahrungen mit der Kriminalität. Aus den durch die Interviews erhobenen Daten erstellt Fähnrich die Einzelfallanalysen, die miteinander verglichen werden. Es werden Gemeinsamkeiten aus den Einzelfällen zu den aktuellen Lebensumständen und Kriminalität (Ebene 1) hervorgehoben und bestimmte thematische Kategorien gebildet. Anschließend folgt die Feinanalyse, die mit Hilfe eines Leitfadens erstellt wird und die Bildung von Subkategorien ermöglicht (Fähnrich, 2010, S.125). Die thematisch angelegte Struktur gewährleistet eine hohe Vergleichbarkeit (Flick,2010, S.172). Die angelegten Kategorien werden wieder mit den anderen Fällen abgeglichen und nochmals analysiert. Die Ergebnisse werden von Fähnrich zu den endgültigen Untersuchungskategorien formuliert. Im nächsten Schritt analysiert Fähnrich die einzelnen Fälle unter Beachtung von biografischen Erlebnissen. Aus den festgestellten Gemeinsamkeiten bildet er Situationstypen. Auf die gleiche Weise untersucht Fähnrich die biografischen Erfahrungen der Jugendlichen mit der Kriminalität (Ebene 2) und bildet dadurch die Biografietypen. Die beiden Typen werden miteinander verglichen und auf die inhaltlichen Zusammenhänge überprüft. Anschließend werden durch die Analyse der gemeinsamen Merkmale die Lebenslagentypen gebildet (Fähnrich, 2010, S. 123- 134). Das von Fähnrich verwendetes Auswertungsmodell wird von Flick als zirkuläres Modell beschrieben. Die konsequente Anwendung dieses Modell ermöglicht die permanente Reflexion sowohl der gesamten Forschungsarbeit, als auch deren einzelnen Teilschritte. (Flick, 2011, S. 126 ff.)

Geltungsbegründung

In der qualitativen Forschung wird die theoretische Verallgemeinerung angestrebt (Vgl. Flick 2010, S. 279). Diese wird durch einen systematischen Vergleich des erhobenen Materials erreicht. Die vom Flick beschriebenen Methoden des konstanten Vergleichs und Fallkontrastierung und Idealtypenbildung (Vgl. ebd., S. 276ff.) werden von Fähnrich in seiner Forschung umgesetzt (Sieh Abschnitt „Interpretation von Daten“, Typenbildung). Weitere Gütekriterien, die von Flick anführt werden, sind die Anonymität und Datenschutz (Vgl. Flick, 2010, S. 284). Diese werden von Fähnrich den Probanden bei den Interviews zugesichert (Vgl. Fähnrich, S. 123). Die Transparenz der Forschung wird von Fähnrich gewährleistet, indem er seine Vorgehensweisen, Zwischenergebnisse, entstandene Problematiken und deren Lösungsansätze und auch die Forschungsergebnisse offen darlegt, sodass die entstandenen Fragen nach der Vorgehensweise und – gründen beantwortet werden können.

Forschung als Diskurs

Eine Rückmeldung von den Ergebnissen der Forschung mit den Lösungsansätzen an die Teilnehmer wird häufig als Erwartung an den Forscher gestellt (Flick, 2009, S. 254) Dieses Kriterium erfüllt Fähnrich teilweise, indem er seine Forschungsergebnisse an das Hessische Polizeipräsidium weiterleitet. Diese soll die erhaltenen Informationen in Zukunft zur Prävention von Straftaten nutzen können (Fähnrich, 2010, S.105). Allerdings bleibt unklar, ob die Studienteilnehmer auch eine Rückmeldung über die Forschungsergebnisse erhalten haben. Zudem werden die Jugendlichen nicht über Zwischenergebnisse informiert oder in den Prozess der Ergebnissicherung eingebunden.

Literatur

Fähnrich, Oliver: „Jugendkriminalität: Biografische Kontexte straffälliger Jugendlicher“ Dissertation. Dortmund: Technische Universität Dortmund, 2009

Flick, Uwe: „Sozialforschung: Methoden und Anwendungen: Ein Überblick für die BA-Studiengänge“, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 3. Aufl.,2009

Flick, Uwe: „Qualitative Forschung. Eine Einführung“, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 4. Aufl., 2011

Flick, Uwe: „Sozialforschung: Methoden und Anwendungen: Ein Überblick für die BA- Studiengänge“, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 3. Aufl., 2016

Kommentare

Diskussion

Celina Panosch, 2018/06/30 12:32, 2018/06/30 12:33

Das Tandem 12 landet bei unserer Bewertung auf Platz 1. Sehr positiv bewerten wir die Erläuterung der Forschungsperspektiven und die damit verbundenen Forschungsfragen. Die Annäherung an das Feld wurde sehr detailliert beschrieben. Äußerst gelungen finden wir das Herausarbeiten des Prozesses, den Fähnrich in seiner Studie bei der Probandenfindung hat. Das Leitfadeninterview, sowie weitere wichtige Begriffe, werden mithilfe Flicks Literaturen verständlich gemacht und dann an Fähnrichs Studie näher erklärt. Die Kennzeichnung der unterschiedlichen Quellen ist überwiegend gelungen. Allerdings wird der Unterschied zwischen direkten und indirekten Zitaten nicht deutlich, da das „vgl.“ fehlt. Im Abschnitt „Datenfixierung“ erscheint uns die Beschreibung und Auswertung der Tonbandaufzeichnung etwas zu kurz, die Methode der Transkription wird leider nicht erläutert. Kleine Grammatikfehler, vor allem am Ende des Abschnitts „Interpretation der Daten“, sollten noch verbessert werden. Inhaltlich hat uns dieser Abschnitt jedoch sehr überzeugt, die Typenbildung wurde umfassend beschrieben und Fähnrichs Vorgehen gut auf Flick bezogen. Das Literaturverzeichnis ist vollständig.

Lena Hauner, 2018/06/30 16:15

Für mich steht Tandem 12, welches die Studie „Jugendkriminalität – Biografische Kontexte straffälliger Jugendlicher – Merkmale und Selbstdeutungsmuster jugendlicher Wiederholungstäter“ von Oliver Fähnrich aus dem Jahr 2010 analysiert hat, auf Platz eins. Die Analyse wurde sprachlich und grammatikalisch sehr gut verfasst und es wurde auf eine wissenschaftliche Zitierweise geachtet. Das Tandem hat die einzelnen Schritte von Oliver Fähnrich genau beschrieben und mit passenden Belegen von Flick bewiesen. Die wesentlichen Inhalte der Studie wurden gut und verständlich herausgearbeitet. Zusätzlich zur vorgegebenen Literatur wurde von Tandem 12 noch weitere Literatur verwendet, des Weiteren wurde darauf geachtet, dass das Literaturverzeichnis vollständig angegeben ist. Im Text ist ein roter Faden zu erkennen, der sich positiv auf die Verständlichkeit auswirkt.

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